Definition und Beschreibung
Unter den Oberbegriff der sogenannten Persönlichkeitsstörungen werden bestimmte Erlebens- und Verhaltensmuster zusammengefasst, die meist schon seit der Jugend oder dem frühen Erwachsenenalter bestehen und recht weitreichend in ihrer (negativen) Beeinflussung der zwischenmenschlichen Beziehungen und des Befindens der betroffenen Person sind.
Da diese Muster im Fühlen, Denken, Wahrnehmen und Verhalten sich nicht nur in ganz bestimmten Situationen oder innerhalb bestimmter zeitlicher Perioden, zum Beispiel während depressiver Episoden, zeigen, sondern relativ konstant und situationsübergreifend deutlich werden, hebt der zugehörige Begriff auf die "Persönlichkeit" ab, um diesem relativ umfassenden Zutagetreten von Besonderheiten im Fühlen, Denken, Wahrnehmen und Verhalten Rechnung zu tragen.
Zunächst einmal stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, was unter "Besonderheiten" im Fühlen, Denken, Wahrnehmen und Verhalten überhaupt zu verstehen ist, wo doch jeder Mensch ein Individuum mit besonderen Charaktereigenschaften und Eigenarten ist.
"Besonders", "abweichend" oder "auffallend" wird in den international für Ärzte und Psychologen verbindlichen Diagnosesystemen definiert im Vergleich mit der Mehrheit der Bevölkerung eines bestimmten Kulturkreises oder einer Subkultur. Diese Abweichung wird von betroffenen Personen oft erstmal gar nicht als solche erlebt - vielmehr haben sie häufig das Gefühl, ihre Mitmenschen verhielten sich ungewöhnlich oder auch störend.
Objektiv betrachtet, sind diejenigen Besonderheiten einer Persönlichkeit für den Bereich der Psychotherapie relevant, die beim Betroffenen zu Leiden führen und bestimmte Symptome wie Depressivität, Gefühle von Einsamkeit oder Angst hervorrufen oder immer wieder zu zwischenmenschlichen Konflikten führen.
Hervorzuheben ist, dass jeder Mensch, auch wenn er die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erhalten hat, auch sehr hilfreiche, positive, gesunde und unproblematische Anteile in sich trägt, und dass die Anteile, die von ihm selbst oder seiner Umgebung als problematisch empfunden werden, sich entwickelt haben, weil eine frühere Lebenssituation dies verlangt hat, und vielleicht auch heute noch wichtige Funktionen von ihnen erfüllt werden.
Aufgrund klinischer Beobachtungen und empirischer Befunde, wurden verschiedene spezifische Persönlichkeitsstörungen mit jeweils spezifischen charakterisierenden Merkmalen definiert, darunter zum Beispiel etwas bekannter geworden die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (synonym verwendet wird die Bezeichnung "Borderline-Persönlichkeitsstörung").
Die kurzen Beschreibungen der spezifischen Persönlichkeitsstörungen (Menüpunkt rechts) verdeutlicht, dass die Einordnung von persönlichen Charakteristika als "hilfreich" oder "nicht hilfreich" im Hinblick auf emotionales Wohlbefinden, Handeln im Einklang mit persönlichen Zielen und Werten und auf die Entwicklung positiver zwischenmenschlicher Beziehungen, keine kategoriale Einordnung sein kann. Ein jeder wird in den Beschreibungen Anteile seiner selbst wiederfinden - um die diagnostischen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung zu erfüllen, müssen jedoch eine gewisse Anzahl von Merkmalen in gewisser Ausprägungsintensität und über gewisse Dauer vorliegen, die darüber hinaus zu relevanten Beeinträchtigungen des persönlichen Lebensvollzugs führen.
Hingegen ist es durchaus möglich - und wird auf die allermeisten Menschen zutreffen - einige Merkmale der spezifischen Persönlichkeitsstörungen in sich zu tragen und damit ein zufriedenes und erfülltes Leben zu führen, und für diese Eigenschaften von anderen Menschen geschätzt zu werden.
Entstehungshintergründe
Die Entwicklung der spezifischen Persönlichkeitsstörungen im einzelnen darzustellen, würde den gegebenen Rahmen sprengen.
Allgemein kann jedoch davon ausgegangen werden, dass zum einen gewisse biologische Veranlagungen anfällig für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung machen können. So ist zum Beispiel bekannt, dass die neurobiologischen Systeme, die für die Regulation unserer gefühlsmäßigen Reaktionen zuständig sind, bei Personen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung dahingehend verändert sind, dass sie intensivere emotionale Reaktionen auf gleichförmige Reize produzieren, die sich langsamer auf das (ebenfalls erhöhte) Ausgangsniveau an emotionaler Erregung zurückbilden als bei Menschen, die nicht an einer Borderline-Störung leiden.
Zu derlei biologischen Anfälligkeiten hinzu kommen Lernerfahrungen und Belastungen im Laufe der frühkindlichen Entwicklung und/oder der Pubertät. Für alle spezifischen Persönlichkeitsstörungen sind Lernbedingungen bekannt, die in besonderem Maße die Entwicklung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale begünstigen. So individuell diese auch ausgestaltet sein mögen, im Allgemeinen haben diese Persönlichkeitszüge sich als Reaktion auf eine für das Kind oder den Jugendlichen bedrohlichen oder schädlichen Situation herausgebildet und dienten ihm oder ihr zum damaligen Zeitpunkt als Bewältigungsstrategie.
Zum Beispiel kann eine sehr feindselige, eventuell gewalttätige oder missbräuchliche kindliche Umgebung dazu führen, dass das Kind sehr achtsam und misstrauisch wird, um keine noch so kleinen Anzeichen von Gefahr und Bedrohung zu übersehen. Diese Strategie kann für das anderenfalls schutzlose Kind derart überlebenswichtig sein, dass sie sozusagen im Übermaß entwickelt wird - genau richtig für das schutzlose Kind, aber möglicherweise hinderlich für den späteren Erwachsenen, der mit seiner "Überdosis" Misstrauen keinem anderen Menschen mehr ermöglicht, ihm wirklich nahe zu kommen (dies könnte zum Beispiel auf eine Person mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung zutreffen).
Allerdings können auch "überbehütende" kindliche Lebensumfelder dazu führen, dass bestimmte hinderliche Muster im Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln sich herausbilden.
Einschneidende, gegebenenfalls wiederholte oder überdauernde Erfahrungen, Erlebnisse und Lernbedingungen innerhalb der ersten wichtigen Beziehungen (meist zu Eltern oder anderen frühen Bezugspersonen) können also zu einer zum damaligen Zeitpunkt hilfreichen Ausbildung gewisser Reaktions- und Erlebensmuster führen, die wir ins Erwachsenenalter mitnehmen und die dann gegebenenfalls (nicht notwendigerweise!) Schwierigkeiten bereiten. Ursprünglich aber dienten sie dazu, zentrale menschliche Bedürfnisse zu äußern oder zu befriedigen, die unter gegebenen Umständen nicht anders zu äußern oder zu befriedigen gewesen sind.
Therapiemöglichkeiten
Im Rahmen einer Psychotherapie gilt es zunächst, die eigenen Persönlichkeitseigenarten mit all ihren Vorteilen und Nachteilen Schritt für Schritt kennenzulernen bzw. sich ihrer bewusst zu werden. Sorgfältig wird gemeinsam mit dem Therapeuten abgewogen, an welchen Stellen Veränderungen wünschenswert erscheinen und an welchen nicht. Ziel ist nicht, die Persönlichkeit an sich zu verändern! Es geht einzig darum, bestimmte wiederkehrend als leidvoll erlebte bzw. zu negativen Konsequenzen führende Muster von Gefühlen, Gedanken, Sichtweisen und Verhaltensweisen mit neuen Reaktionsweisen zu ergänzen, die nicht zu negativen Konsequenzen führen, sondern bei der Erreichung persönlicher Ziele hilfreich sind.
Je nachdem, welche Persönlichkeitsanteile vorherrschen und welche individuellen Probleme sich aus ihnen möglicherweise ergeben, kommen unterschiedliche therapeutische Strategien zum Einsatz, die hier zu erläutern den Rahmen eines Online-Beitrags sprengen würde.
Grundsätzlich geht es darum, mit den eigenen wahrhaftigen Gefühlen in Kontakt zu kommen, ihren Ursprung zu verstehen und auf diese Weise den Weg zu ebnen, die heutigen Reaktionen den heute gegebenen Umständen ein Stück weit anzugleichen und "alte" quälende Gefühle nicht mehr so intensiv im Hintergrund rumoren zu spüren wie bisher.
Das Hinzulernen neuer Verhaltensweisen zur Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und zur Bewältigung unangenehmer Gefühle und Erlebnisweisen ergänzt die biographische Arbeit.
Da die schmerzvollen Reaktionsmuster wie beschrieben tief verwurzelt und häufig relativ umfassend sind, kann eine Behandlung oft nur behutsam und kleinschrittig erfolgen, die früher allgemein vertretene Annahme, eine Persönlichkeitsstörung sei nicht behandelbar, ist jedoch aus heutiger Sicht als völlig unzutreffend zu bezeichnen. Es gibt sehr wirksame psychotherapeutische Ansätze zur Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität vor dem Hintergrund einer sogannten Persönlichkeitsstörung.
Wie oben angedeutet, können Persönlichkeitsstörung mit schweren depressiven Symptomen, Ängsten oder auch Suizidalität einhergehen, weshalb in manchen Fällen eine zeitlich begrenzte medikamentöse Begleitbehandlung hilfreich sein kann. Keinesfalls jedoch ist bei Persönlichkeitsstörungen die alleinige psychopharmakologische Behandlung die Methode der Wahl.
Buchempfehlungen zum Thema
Sachse. R. (2019). Persönlichkeitsstörungen. Leitfaden für die Psychologische Psychotherapie. Hogrefe.
Young, J.E., Klosko, J.S. & Weishaar, M.E. (2008). Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Junfermann.
Young, J., Klosko, J.S., Kierdorf, T. & Höhr, H. (2006). Sein Leben neu erfinden: Wie Sie Lebensfallen meistern. Junfermann: Paderborn.
ISBN: 3873876191.
Rahn, E. (2007). Borderline. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Psychiatrie-Verlag.
ISBN: 3884142585.